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(K)ein Loblied auf das Auto. Ein Kommentar.

Jeder möchte gerne rational handeln und argumentieren. Bei der Diskussion um öffentlichen Nah- und Individualverkehr versandet der Diskurs jedoch gerne in der Empörung – oder in einer Rechtfertigung. Warum ist das eigentlich so?

Die Empörung …

Warum sich eine Seite, nämlich die der Autofahrenden, gerne mal aufregt, könnte daran liegen, dass diese mit Vorliebe für alles Schlechte der Welt herhalten müssen.

In diesem Beitrag ist beispielsweise viel Empörung zu lesen, es finden sich dort Aussagen wie: Es sind „Autofahrer:innen (zu 75 Prozent) oder LKW-Fahrer [sic] (zu 80 Prozent)“ an Unfällen schuld.

Gut ist an dieser Stelle, dass die Schuldfrage geklärt ist. Für ein paar Details sollte man sich dann doch etwas tiefer in die Quellen begeben, denn: Nicht ganz so einfach herauszulesen ist, dass es sich in der Statistik (Seite 8) um Unfälle mit Personenschaden handelt. Als RadfahrerIn LKW-Fahrende zu verletzen, muss man erst einmal schaffen – Chapeau!

LKW- und Autofahrende verursachen also die Mehrheit aller Unfälle mit Personenschaden, außerdem waren es „die Nazis, die auf das Auto setzten und Autobahnen bauten“. In diesem Duktus beklagt die Autorin zudem, dass Autofahrende gegen Radfahrende schimpfen und dreht den Spieß kurzerhand um.

Bin ich also Produkt nationsozialistischer Menschenverachtung, blind für die Natur, bar jeden Respekts für Leib und Leben. Trete ich die freiheitlich-demokratische Grundordnung mit den Füßen (auf dem Gaspedal) oder vernichte ich sie mit den Händen, weil ich nicht immer blinke? Tempo 30 ist nur deswegen schlecht, weil das „Opfer“ dann noch leben könnte?

Mitnichten.

… nicht ganz zu unrecht.

Das Auto ist eine Gefahr für Leib und Leben und viele Autofahrende brechen oder beugen Regeln, um das eigene Vorankommen zu beschleunigen. Davon nehme ich mich – bis zu einem gewissen Grade – sogar selbst nicht von aus. Was die Regeltreue angeht, werden sich Radfahrende und Fußgehende nicht groß von Autofahrenden unterscheiden, nur die Folgen sind weniger gravierend, wenn ein Radfahrer jemanden streift. Dieser Umstand dürfte auch erklären, warum RadlerInnen so wenige Personenschäden verursachen.

Der CO²-Ausstoß von Autos ist unwesentlich größer und während bei der Tanke der Kraftstoff in den Tank fließt, strömt Geld in Krisenherde dieser Erde. Beginnt man gegen diese und andere ökologische, soziale und wirtschaftliche Punkte zu argumentieren, ist es unweigerlich, dass sich missionarische Rad- oder Öffi-Fahrende empören.

Diese Fakten machen das Auto unmoralisch. Ich fälle also nun eine Entscheidung: In Zukunft wird auf das Auto also verzichtet, ich bin dabei! Nur manch Arbeitgeber möchte immer noch, dass die Büros geschäftig besetzt werden, so auch meiner. Es ist der Pandemie geschuldet, dass ich nicht mehr so oft wie früher in das Büro muss, doch irgendwo zwischen Delta und Omikron wurden Stimmen nach „Normalisierung“ laut, ich kann mich also nicht auf mein Home-Office verlassen.

Die Alternativen

Nach wenig Überlegung reift in mir die Erkenntnis, dass Askese und reiner Verzicht nicht der Wahrheit letzter Schluss sein können, ein allmorgendlicher Spaziergang Richtung Arbeit fällt also flach. Zumindest Arbeit braucht der Mensch (bitte lies hier keine aufgezwungene Gesellschaftsordnung heraus) zum Privatier reicht das Geld nicht. Ich brauche also eine Alternative zum Auto. Ich wohne 25 Kilometer von der Stelle entfernt, an der ich mich nach Wunsch meiner Arbeitgeberin vorzugsweise aufhalten soll, um eine Tastatur zu bedienen. Demnach bleiben mir – ohne Auto – zum Beispiel folgende Optionen:

  1. Mit den Öffis fahren,
  2. in die Nähe meines Büros ziehen,
  3. Rad fahren, scootern oder ähnliches,
  4. die Stelle wechseln.

Die Realität

Die öffentlichen habe ich versucht, schon vor Corona. Damals wohnte ich geschlagene 45 km entfernt und musste jeden Tag das Büro aufsuchen. Die Fahrten mit der Bahn waren günstig, aber unerträglich. Der Zug war meistens knüppelvoll, fuhr nicht, zu spät oder sonst nur mit halber Garnitur. Mehr als einmal bin ich faktisch am Einsteigen gescheitert. Der gleiche Hintern, welcher mich am Einstieg hinderte, hat übrigens auch die Tür am Schließen und die Bahn an der Abfahrt gehindert.

Ich habe ernsthaft versucht, Bahn zu fahren und habe ein Jahr durchgehalten. Selbst die 300 Euro teuren Kopfhörer konnten die Mitreisenden nicht dämpfen und somit das Experiment nicht retten: Öffis Danke, aber nein Danke. Natürlich kommt noch hinzu, dass Berufstätige den Zug auch noch erreichen müssen, Fahrrad oder Scooter werden im RB3 oder RE19 aber definitiv nicht mitfahren. So habe ich das Firmenticket abgegeben und das Geld jeden Monat in Sprit investiert.

Umgezogen bin ich bereits, mir waren 45 Kilometer mit dem Auto dann doch zu viel. Zwanzig Kilometer näher dran, gerade außerhalb von Düsseldorf. Noch näher werde ich absehbar nicht an die Arbeit ziehen. Entweder ist es laut und hässlich oder es ist unbezahlbar teuer oder es ist zu weit von der Arbeit entfernt. Und was den Preis und meine Erwartungen angeht: Düsseldorf ist teuer. Zu teuer.

Es wird eine Busroute angezeigt, die eine Schleife durch ein Wohngebiet macht.
Die Bustour ins Wohngebiet verlängert die Fahrt um knappe 20 Minuten. Die Fahrzeit verdreifacht sich.

Selbst die halbe Entfernung ändert nicht viel an der Einschätzung zu den Öffis, denn die Fahrt zum Bahnhof bleibt mit dem Bus elendig lang. Auch der Bus will erreicht werden, so beträgt der Weg zur Schaffensstätte immer noch mehr als eine Stunde. Rushhour sei Dank ist die Mitnahme des E-Scooters auch in der U79 eher eine theoretische denn praktische Option.

Und zu guter letzt, wird in den öffentlichen Verkehrsbetrieben mehr und mehr dazu übergegangen, die Mitnahme von E-Scootern schlicht zu verbieten.

Scooter für die ganze Strecke geht übrigens nicht: Der Fahrer (ich) ist dick, der Akku nicht, sodass ein gutes Stück vor dem Ziel der Saft ausgeht. Der Rest wäre zu laufen.

Radfahren ist spitze, gerne! Eine willkommene Abwechslung vom ständigen Sitzen. Im Sommer, wenn es morgens schon warm ist, kein Regen droht, ist die doppelte Fahrzeit kein großer Umstand. Auf für die Umwelt und die Gesundheit geht es mit dem Rad etwa 15 bis 20 Mal im Jahr auf nach Düsseldorf, natürlich nur, wenn Corona nicht wütet.

Das Problem mit der doppelten Fahrzeit wird vermutlich bald elegant gelöst: Wenn Autos nur noch 30 km/h fahren dürfen, ist man mit dem Fahrrad fast zeitgleich auf der Arbeit.

Die letzte Option ist es, die Stelle zu wechseln und in deren Nähe zu ziehen. Es stellt sich nun die Frage, wie realistisch ein solches Unterfangen ist. Die grundsätzlichen Probleme bleiben, denn die meisten Positionen in größeren Unternehmen sind dort, wo das Pflaster recht teuer ist. Sollen Arbeitnehmende schlechtere Stellen annehmen, nur damit auf das Auto verzichtet werden kann?

Die Rechtfertigung

Nichts – vom eigenen Hubschrauber mal abgesehen – ist teurer als die Fahrt mit dem Auto, noch dazu alleine. Warum fahre ich dann noch mit dem Wagen? Ich könnte rein privat theoretisch auf (m)einen Wagen verzichten. In privaten dringenden Fällen und für Urlaub ginge auch das zweite Auto. Damit gibt es keine Eh-Da-Kosten, das Auto ließe sich also nicht schönrechnen.

Dennoch halte ich am eigenen Auto fest, eben weil es keine echte Alternative zum Auto gibt. Wer etwas anderes behauptet, blendet jede Menge Details aus oder lügt schlichtweg. Im Winter nicht zu frieren und im Sommer nicht zu schwitzen ist ein Wunsch, den mir mein Auto erfüllt und die Bahn zumindest in der Theorie. Privatsphäre, ergo andere Leute nicht hören oder riechen zu müssen, kann mir das Rad mehr oder weniger bieten, aber nicht die Bahn. Die verträumte Geschichte vom Pendler, der morgens ein Buch liest, ist blanker Hohn, da haben selbst sauteure Kopfhörer und dutzende Folgen „Seinfeld“ nichts für mich geändert.

Die Liste der Probleme ist für alle sonstigen Optionen lang und selbst Vergleiche mit Nazis können mich kaum überzeugen, bis eine echte Alternative auf der Bildfläche erscheint, die mich pünktlich und schnell, trocken sowie entspannt zur Arbeit bringt. Und natürlich nutze ich mein Auto für die Fahrt in den Urlaub, schon einmal von der „Scheuer-Wende“ gehört? Wenn nein, empfehle ich das Video zum Bahnmining.

Das Auto ist immer noch am bequemsten

Wer eine Diskussion führt wie die Autorin Gunda Wienke, die mit aufgeblähten Zahlen argumentiert und Autofahrende in die Nähe der schlimmsten Verbrecher der Neuzeit rückt, erweist der Diskussion um die Verkehrswende jedenfalls einen Bärendienst. Wer auf diese Weise für alles Unrecht der Welt verantwortlich gemacht wird, reagiert im besten Falle mit Trotz.

Am Ende einer ehrlichen Diskussion steht die Frage, ob man bereit ist auf Dinge zu verzichten, die einem das Auto bietet. Habe ich eine Garantie für Home-Office, wird mir der Abschied von meinem Auto sehr leicht fallen. Ohne Home-Office werde ich mit dem Auto fahren – um eine Tastatur zu bedienen. Und das, obwohl ich in einem dicht besiedelten Teil Deutschlands wohne.

[Dieser Artikel wurde am 12.04.2024 um den Hinweis auf das E-Scooter-Verbot ergänzt.]

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